WiYou - Wirtschaft und Du - Ausgabe 03/2013 - page 41

Rrrrrscht
Es gibt Sachen, die passieren nur in vorhersehbar­schlechten Comedysendungen. Eigentlich. Dachte ich. Bis mich
das Leben eines Besseren belehrte und unbarmherzig an meinen Bürostuhl fesselte.
Wenn mein Kalender mich rechtzeitig, am besten am Abend vorher, an einen Außer­Haus­Termin erinnert, schaff
ich es in der Regel auch, mir dafür passende Bekleidungsteile rauszusuchen – also nicht grade Jogginghose und
Ramones­Fanshirt. Auch wenn ich nicht der klassische Kostümchen­Bleistiftrock­Blusen­Typ bin, darf`s dann schon
mal eine ordentlich unausgefranste Hose mit solide aussagelosem Oberteil sein. Die passenden Kandidaten hängen
säuberlich separiert im Kleiderschrank, so reicht ein zielsicherer Griff und ich bin geschäftsfein angezogen. Da sich
besagte Termine in letzter Zeit häuften, zog nun letzte Woche ein neues seriöses Beinkleid ein und heute morgen
– für eben einen dieser Termine – mit mir hinaus in die Arbeitswelt. Alles gut, alles schick, alles fein. Bis auf, und
nun der Teil der doch eigentlich nur nach Drehbuch vor einer Kamera passiert: Ich verstaue, wie immer morgens,
mein mitgebrachtes Mittag­in­der­Dose im Bürokühlschrank. Wofür ich etwas in die Knie gehen muss. Da durch­
bricht als Antwort auf meine unter orthopädischen Gesichtspunkten möglicherweise leicht fragwürdige Haltung
ein kurzes „Rrrrrscht“ die um diese Zeit noch vorherrschende Stille. Keine Bewegung. Langsam und vorsichtig tastet
sich meine Hand nach hinten vor. Nee, oder. Ich bin geplatzt. Genauer die Hosennaht. An einer Stelle, von der ich
gar nicht wusste, dass da Naht sein kann, senkrecht unter dem Hier­is­hinten­Schildchen. Sollte da nicht Bund sein?
Oder eben etwas, dass das Gesamtkonstrukt stabilisiert? Und so was nennt sich neu und Markenhose und Stretch.
Ich hocke immer noch ungläubig vorm Kühlschrank, als draußen eine Autotür zugeschlagen wird. Sekunden später
dreht sich ein Schlüssel im Türschloss und ich verschwinde auf die Toilette. Eine genauere Rissuntersuchung rück­
lings vor dem Spiegel ergibt, knappe fünf Zentimeter mit Tendenz nach „könnte mehr werden“.
Etwas steif bewege ich mich dann in Richtung meines Schreibtisches, vorbei am inzwischen besetzten Chefbüro, in
das ich kurz von der Seite hereinwinke, bevor ich mich leicht verdreht an der Wand lang weiter schiebe und sehr
sehr vorsichtig auf meinem Stuhl Platz nehme.
Für die nächste Stunden habe ich alles Benötigte in greifbarer Nähe, grüße Ankommende freundlich, aber im Sitzen
und verzichte freiwillig auf Kaffee oder sonst etwas aus der Küche, was mir nicht von anderen mitgebracht wird.
Fast vergesse ich, warum ich lieber nicht aufstehen sollte, bis ich aufstehe und meine Kollegin von schräg hinter
mir laut, so laut, dass es wirklich jeder hört, fragt: „Ist deine Hose kaputt?“ „Nein, das sieht nur so aus“, grummle
ich rotwerdend und setze mich wieder. „Meine Oma kann so was nähen, soll ich die Hose nachher mitnehmen?“
ruft´s hilfsbereit, aber kein bisschen leiser herüber. „Na klar, und ich geh ohne nach Hause“, denke ich zurück und
plötzlich auch wieder voraus. Wenn dabei nur der Heimweg mein Problem wäre, ich hab die Hose ja nur angezogen
weil, genau, der Termin. Aus Scham wächst Panik. Mit MacGyverschen­Blick checke ich die Büroausstattung:
Klebestift, Klebestreifen, Tacker und Büroklammer kommen in die engere Wahl. Jeweils keine gute, wie sich in der
nächsten Viertelstunde durch gewagte Experimente auf der Toilette herausstellt. Da wir uns nun endlich im Sommer
befinden, scheiden auch die Jacke oder der neunzigerjahremäßig um die Hüften gebundene Pulli aus. Ich brauch
einen Ersatz! Heim schaff ich´s nicht mehr, hier im Viertel gibt’s nur Supermärkte ohne Textilabteilung und H&M
liefert nicht. Mir ist nach Weinen. Bis ein Telefonklingeln meine Verzweiflung unterbricht und mich im Anschluss
entspannt zurücksinken lässt. Termin auf morgen verschoben. Danke! Den Rest des Tages sitz ich aus.
Schussi, eure Mamu
1...,31,32,33,34,35,36,37,38,39,40 42,43,44
Powered by FlippingBook